Gewalt hat viele verschiedene Gesichter. Es sind nicht nur Schläge, die uns Menschen verletzen und kränken können, sondern auch Worte. Verbale Gewalt ist oft nicht auf den ersten Blick sichtbar. Dennoch kommt diese Art von Gewalt leider viel zu oft vor.
Es kann sein, dass ein Gespräch ganz harmlos beginnt. Der einfache Satz “Das Essen riecht aber super heute” kann sowohl als Kompliment als auch als Beleidigung eingestuft werden. Die Ausdrucksweise mag zwar korrekt sein, dennoch kann es sehr verletzend sein, wenn man einen veräppelnden, sarkastischen Tonfall wählt. Aus Beleidigungen können schnell Beschimpfungen oder Bloßstellungen werden. Das Opfer fühlt sich dann sehr schnell eingeschüchtert und, im Extremfall, gemobbt. Nach dem Konflikt fühlt es sich dann sehr schwach, gekränkt und abgewertet.
Verbale Gewalt: Opfer- und Täter-Rolle
Es ist nicht leicht, mit einer Auseinandersetzung, einem Streit, einem Konflikt oder sogar einer Eskalation umzugehen. Um sich selbst etwas zu verteidigen, greifen Opfer auch manchmal zum Gegenangriff und nehmen so die Täterrolle ein: “Du kannst doch auch nicht besser kochen, als ich!” In manchen Fällen passiert es auch, dass wir unseren eigenen Frust an Mitmenschen in unserer näheren Umgebung auslassen, die nichts dafür können. Beispielsätze hierfür sind: “Was ist das denn, was du für heute gekocht hast?”, “Und das soll ich essen?” oder auch “Na, wie sieht’s denn hier aus?”
Verbale Gewalt hat viele verschiedene Facetten, die mindestens genauso schmerzhaft sein können, wie Schläge ins Gesicht. Nun stellt sich die Frage, wie man dem etwas entgegenwirken kann. Dazu stelle ich Ihnen mögliche Handlungsanleitungen für das Opfer vor, wie eine gesunde Streitkultur aussehen kann und was es mit einer Wiedergutmachung auf sich hat.
Handlungsanleitungen für das Opfer
Sie können sich wehren, indem Sie sagen: “Das, was du zu mir sagt, tut mir weh. Bitte höre auf damit!”. Damit gibt man seinem Gegenüber zur Kenntnis, dass er als Täter agiert. Das geschieht auf eine sehr elegante, rücksichtsvolle Art. In den meisten Fällen berührt es den Täter, sodass er verstummt. Die Totenstille ist dem Täter meist sehr unangenehm und er stoppt schlussendlich den verbalen Angriff.
Hierbei ist es wichtig, dass Sie nur so reagieren, wenn Sie sich auch verletzt oder gekränkt fühlen. Echtheit, oder auch Authentizität, ist das A und O, wenn es um die Beschreibung der eigenen Gefühle geht. Beschreiben Sie Ihren eigenen Standpunkt so genau wie möglich. Erklären Sie, wie es Ihnen in dem Moment geht, warum Sie sich verletzt fühlen und was Sie sich vom Gegenüber am Liebsten wünschen. Versuchen Sie gemeinsam einen Lösungsweg zu finden, indem ihr euch mit gegenseitigen Respekt behandelt. Lassen Sie auf jeden Fall einen gewissen Spielraum zu, und bemühen Sie sich, Kompromisse einzugehen.
Eine gesunde Streitkultur pflegen
Damit sich der Partner der Situation bewusst werden kann, ist es hilfreich, in der Ich-Form zu reden. Starten Sie ihren Satz mit “Ich bin traurig, weil …” oder “mich verletzt es, dass …”. Diese Formulierungen zeigen Empathie. So kann man sehr gut auf den Partner eingehen. Versuchen Sie auch manchmal die Position des Anderen einzunehmen. Artikulieren Sie das auch, indem Sie mit “Ich weiß, dass es dir schwer fällt …” beginnen. So zeigen Sie auch, dass Sie den Gegenüber wertschätzen. das kann sehr deeskalierend wirken.
Gerade in einem Streitgespräch ist es sehr wichtig, den Partner respektvoll zu behandeln und partnerschaftlich miteinander umzugehen. Deswegen lassen Sie am Besten den Anderen immer ausreden. Selbst dann, wenn es einem sehr schwer fällt, muss man dem Gegenüber ein offenes Ohr schenken. Wenn der Andere gerade spricht, ist es auch wichtig, dass seine Worte nicht mit abfälligen Gesten begleitet werden. Ein kleiner, genervter Augenroller kann beispielsweise eine Situation sehr vermiesen. Genauso können gewisse Reizwörter, Vorhaltungen, Unterstellungen, Kränkungen oder Beleidigungen die Situation schlimmer machen, anstatt sie zu verbessern.
Vermeiden Sie jegliche Art von Verallgemeinerungen. Versuchen Sie, Worte wie “immer”, “ständig” oder “nie” aus dem “Streitgespräch-Vokabular” zu streichen. Es ist viel besser, wenn Sie sich auf ganz konkrete Beispiele oder Situationen beziehen. Ein “Du bist immer zu spät!” hilft dem Gegenüber nicht viel weiter, und kann sich womöglich nicht genau vorstellen, was man damit meint. Mit Sätzen, wie “Gestern musste ich vor dem Restaurant 25 Minuten warten” oder “Letzten Dienstag hast du mich sogar eine Stunde lang versetzt” nimmt man Bezug auf eine ganz konkrete Situation.
Zeigen Sie, dass Sie für Kompromisse bereit sind. Denn ein gemeinsamer Erfolg ist der beste Erfolg, den man sich wünschen kann. Sollte der Streit dennoch eskalieren, verlassen Sie den Ort. Sagen Sie ihrem Gesprächspartner, dass Sie eine Pause brauchen. Sagen Sie wohin Sie gehen und wann Sie wieder zurück kommen.
Die Wiedergutmachung
Der erste Schritt zur Wiedergutmachung ist Verantwortung für das zu übernehmen, was Sie getan haben. Sagen Sie zum Beispiel: “Es tut mir leid, dass ich dein Kochtalent nicht geschätzt und dich damit sehr verletzt habe.” Versuchen Sie nicht, die Verantwortung mit den allzu üblichen Phrasen wie “Es ist mir einfach herausgerutscht” abzugelten. Denn Sie haben es getan, wurden aber dazu nicht verleitet oder getrieben. Übrigens: Diese “Regel” gilt bei jeder Art von Entschuldigungen, nicht nur bei verbalen Angriffen.
Bieten Sie im Anschluss eine Wiedergutmachung an. Jedoch soll beim Gegenüber nicht der Eindruck entstehen, dass Sie sich von dem verbalen Angriff freikaufen wollen. Sie sollten Ihrem Partner die Entscheidung überlassen, wie Sie es wieder gut machen können. “Kann ich etwas Gutes für dich tun? Mir ist klar, dass es das, was ich gesagt habe, natürlich nicht wieder gut macht.”
Prävention ist die beste Lösung
Die beste Lösung ist, dass Sie es nicht bis zu einer verbalen Eskalation kommen lassen. Dann werden keine Gefühle verletzt. Jedoch gibt es im Alltag leider immer wieder Situationen, in denen Sie sich gereizt fühlen und schneller als gedacht Worte von sich geben, die unsere Mitmenschen verletzen. Damit Sie eine angenehme Gesprächskultur beibehalten, ist es ratsam, dass Sie ein paar Tipps befolgen. Sollte es dennoch soweit kommen, dass Sie Abstand brauchen, dann scheuen Sie nicht davor zurück, den Ort zu verlassen. Machen Sie es auf eine rücksichtsvolle Art und sagen Sie, wohin Sie gehen und wann Sie wieder zurück sind.
Soweit wollen wir es aber nicht kommen lassen. Sagen Sie es ihrem Gesprächspartner ehrlich, wie Sie sich im Moment fühlen. Versuchen Sie dabei, in der Ich-Form zu bleiben. So gehen Sie respektvoll mit Ihrem Partner um. Lasst euch gegenseitig ausreden, bleibt beim Thema und erklärt, was Ihr euch vom Gegenüber wünscht. Beziehen Sie sich auch auf konkrete Geschehnisse anstatt auf Verallgemeinerungen. Lassen Sie Wertschätzung ins Gespräch einfließen. Versuchen Sie, gemeinsame Kompromisse zu finden. Zeigen Sie Verantwortung für ihr Handeln und bieten eine Wiedergutmachung an. Denken Sie immer daran: Ein gemeinsamer Erfolg ist ein Erfolg.
Mein Name ist Robert Karbiner. Seit 1997 arbeite ich als Psychotherapeut und verfüge über viel Erfahrung in der Arbeit mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen.
Ich bin ausgebildeter Psychotherapeut, Supervisor, Coach, systemischer Familienberater, Lebens- und Sozialberater, Anti-Gewalt-Pädagoge, Trainer und Buchautor
Meine Online Kolumne soll Menschen helfen und Ratschläge zur Selbsthilfe bieten. Dennoch erfolgen die Angaben ohne Gewähr. Wenn Sie sich bei der Bearbeitung eines Problems nicht sicher sind oder unklare Begleitumstände auftreten, sollte umgehend fachlicher Rat eingeholt werden. Für eventuelle Nachteile, die aus praktischen Hinweisen und/oder Übungen resultieren, kann der Autor keine Haftung übernehmen. Jeder Leser muss in Eigenverantwortung entscheiden, ob er beschriebenen Übungen und Anregungen ausprobieren möchte. Sollten Sie Fragen haben oder Hilfe benötigen, kontaktieren Sie mich unter 0699 10 322 362 oder r.karbiner@utanet.at.
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